Emma Lassen / 17 Jahre

Yad VaShem

(Foto: Alexandra Nicolae/unsplash)

Ich stehe in einem Meer aus tausenden von Lichtern. Es sind so viele, dass ich nicht mal annähernd eine Zahl nennen kann. Ansonsten ist um mich herum alles dunkel. Ich sehe nicht richtig, wohin ich trete. Ich hangle mich am Geländer entlang. Die Namen kleiner Kinder, die von einem Tonband abgespielt werden, legen sich wie Steine auf mich. Mit jeder Minute wird es bedrückender. Ich merke wie der Kloß in meinem Hals größer wird. Wieder am Tageslicht sehe ich Betroffenheit, Verzweiflung und auch teilweise Tränen in den Augen der Anderen.

Das war die Kindergedenkstätte im Yad VaShem. Ein schrecklich belastender, doch gleichzeitig wunderschöner Ort.

Keiner sagt etwas, wir schauen uns alle einfach nur an, bis uns der Museumsguide dazu auffordert, ihr ins Museum zu folgen. Schon ohne ein einziges Exponat in der Ausstellung von Yad VaShem gesehen zu haben, spüre ich, dass die folgende Führung nicht einfach wird. Wir sind umgeben von glatten, grauen Betonwänden, die nach oben hin zueinander laufen. Der Boden ist überall leicht schräg. Aus den Öffnungen in den Wänden kommen Menschen, doch es ist weder genau erkennbar, woher sie kommen, noch wohin sie gehen. Am Ende des Gangs scheint Tageslicht in das Gebäude, doch der Gang bis dahin scheint endlos lang.

Hier beginnt die schwierigste Zeit des gesamten Austauschs. Wir wurden vorher gewarnt, dass es nicht einfach wird, doch auf unsere eigenen Emotionen konnte man uns nicht vorbereiten. Die Israelis sind alle zuvor schon einmal da gewesen, doch uns Deutsche traf das Ganze wie ein Schlag ins Gesicht. Wir waren zwar alle schon in Holocaustmuseen in Deutschland gewesen und glaubten auch alle, gut über den Holocaust Bescheid zu wissen, doch was uns dort erwartete, war trotzdem erschreckend überwältigend. Die Ausstellung kam uns unendlich lang vor. Nicht dass sie langweilig oder uninteressant war, ganz im Gegenteil. Doch ich fühlte mich, als würde mir jemand in jedem neuen Raum, bei jedem neuen Exponat einen Stein auf die Schultern legen. Erschöpfung und Erschrecken vermischten sich mit Schuldgefühlen. Ganz bewusst gibt es in Yad VaShem nahezu keine Sitzmöglichkeiten, weshalb dieser Besuch uns sowohl emotional als auch in gewissem Maße körperlich an unseren Grenzen brachte. Die Situation war überfordernd.

Als wir nach etwa einer Stunde eine kleine Pause bekamen, ließen wir uns alle an der Wand auf den Boden sinken, doch keiner von uns Deutschen wagte es so richtig zu sprechen. Den Israelis schien das alles gar nicht so viel auszumachen, doch wir waren alle komplett fertig. Es war eine unangenehme Situation. Wir als Deutsche, die wir wussten, dass viele von uns Vorfahren haben, die den Holocaust unterstützt haben, fühlten uns schuldig, uns gemeinsam mit den Israelis, deren Vorfahren dies angetan wurde, diesem Abschnitt der Geschichte zu stellen. Ein deutsches Mädchen traute sich nicht einmal, zu weinen, weil sie das Gefühl hatte, dass sie nicht diejenige ist, die hier das Recht zum Weinen hat.

Am Ende der Ausstellung wurden wir auf eine Art Aussichtsplattform geführt, die eine atemberaubende Aussicht auf die Landschaft Jerusalems bot. Ich fühlte mich schlecht, dass ich mich so über diese Landschaft freuen konnte nach dem, was ich soeben alles erfahren hatte. Doch dieser Ausblick gab uns allen Hoffnung, einen gemeinsamen Blick in die Zukunft sowie Unternehmungslust, unseren Teil dazu beizutragen, dass sich so etwas nicht wiederholt.


Emma Lassen, 17 Jahre
besuchte Israel im Rahmen eines Jugendaustausches im Juli 2019. Zuvor waren die Jugendlichen aus Israel für eine Woche in Deutschland gewesen.