Doron Galia / 27 Jahre

Ans Licht kommen

Fünf | chamesch Gründe brachten das Buch zutage, an dem ich vier Jahre lang schrieb und das unter meinem Bett ausgeharrt hatte, um von dort hervorgeholt zu werden.

Der erste Grund war der Hauptgrund, warum wir uns versammelt hatten: Ich, das Buch und das Bett/der Nachttisch daneben:  Ich träume in zwei Sprachen I be-schtei safot. (Seit wann? Wie kam es dazu? Warum fällt es mir nur auf, wenn ich wach bin? Das Hin und Her in meinem Kopf regt die Gedankenwelt an.)
Meine erfreuliche und beruhigende Verwurzelung, die von vier Seiten meiner deutschen Familie herrührt | ha-mischpacha ha-germanit, beleuchtet das Ganze.
Meine Familie sagt zu mir, dass ich mir keine Sorgen machen solle. Immerhin werde nur einem Glückskind wie mir zuteil, in zwei Sprachen zu träumen | lachalom. Das Sprachengewirr, die Endgültigkeit des gefundenen Wortes, der feste Wille, meine Wangenknochen und mein Kinn zu entspannen, während ich mit den Zähnen knirsche, wenn ich sagen will: „Ich möchte sagen“ | ani roze lehagid, erschwerten es, sich der deutschen Sprache bewusst zu werden. (Warum gibt es meine Gedanken eigentlich nicht in beiden Sprachen?)

Mein zweiter Grund war, dass ich mich in beide Arten, die Feste zu feiern, verliebt habe | hitahavti: die jüdischen und die christlichen. In meinem Leben und meinem Buch wollte ich eine Chanukkiah neben einen Christbaum platzieren, Purim-Rasseln neben dem Spruch: „Süßes oder Saures“ erklingen lassen, einen grinsenden Kürbis neben eine Haman-Tasche setzen und Rosch Haschana, einschließlich den gefilte fisch, zum Jahreswechsel begehen.
In meiner imaginären Familie nahm ich wahr, dass sie Hausbewohner wie ihr Umfeld | ha-swiwa aufheiterte und auf das Gemeindeleben weder auf künstliche noch persönliche Weise aufmerksam machte.
Die Präsenz beider Feste an jedem Wegweiser vervollständigt das Puzzle der Tradition Teil für Teil, schließt seine bisherigen Lücken | maschlim pearim.

Der dritte Grund ist der Wunsch, Wörter in den Mund zu nehmen, die es in der hebräischen Sprache nicht gibt, aber dafür in der deutschen.
Während ich an dem Buch schrieb, ertappte ich mich dabei, wie meine Figuren und ich miteinander redeten | medabrot und für Wörter beteten, die unser Wortschatz nicht besaß. Ich fand drei einzigartige deutsche Wörter, die Familie Keller, meine imaginäre Familie, nicht zur Verfügung hatte:
Heimat | moledet, der Ort, wo du dich zu Hause fühlst und der nicht zwingend dein Geburtsort sein muss, aber deine home base ist.
Heimweh – ein Verlangen oder eine Sehnsucht nach dem Zuhause. Der Wunsch, in das dort stehende Bett zurückzukehren, sich hineinzukuscheln, an dem ruhenden und vertrauten Ort zu sein.
Fernweh – das Streben nach einem Ort, an dem du noch nie warst. Er muss nicht deiner Phantasie entstammen (das Paradies/die Hölle), er kann auch echt | mamaschi sein, wie zum Beispiel Afrika.

Der vierte Grund ist die Musik | musika.
Deutsche Texte zu schreiben, war ein Kindheitstraum von mir.

Der fünfte Grund ist meine Großmutter | sawta.
Meine Großmutter, die vor anderthalb Jahren mit 94 Selbstmord beging, hatte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Dresden gelebt. Mit vierzehn Jahren verließ sie die Stadt.
Die Geschichte von der Gründung des Kibbuz | hakamat ha-Kibbuz in Israel, der Umzug nach Jerusalem, die Rolle der Kunst in ihrem Leben, die Gründung der Familie und die Geschichte ihres Todes boten mir eine Menge Inspiration für die Niederschrift des Buches und dessen Poesie.
Das Verhältnis zwischen meiner imaginären Familie und meiner Großmutter war viele Jahre von Machtkämpfen gekennzeichnet.

Das waren die fünf Gründe für das Schreiben des Buches | le-ktiwat ha-sefer, aber auch die Gründe, es aus dem Licht in die Dunkelheit zu befördern.

Wo ihr es lesen könnt, fragt ihr? In meinem Kopf.


Doron Galia, 27 Jahre
Seine Großmutter ist aus Dresden. Nach dem Armeedienst verbrachte er drei Monate in Berlin und leitete vor vier Jahren eine Theaterdelegation nach Berlin. 2015 nahm er am Deutsch-Israelischen Jugendkongress in Berlin teil.