Leonore Kriegel / 23 Jahre

Der Elefant im Raum

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Vorbemerkungen:

Granny: ein Spitzname für Holocaust Überlebende, die sich oft wie eine “Granny” um Freiwillige gekümmert haben.

Moadonit Amcha: Ein „Club”, wo Überlebende zusammen kommen und verschiedene Angebote wie Ausflüge oder Kurse in Anspruch nehmen können. Zudem wird ihnen dort auch psychologische Hilfe bereitgestellt.

Moadonit HaSchalom: Eine Nachmittagsbetreuung für arabische Kinder aus sozial-schwachen Familien.

ASF: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Eine Organisation, die unter anderem jährlich Freiwillige in Länder entsendet, die von Nazi-Deutschland betroffen waren.

Haifa: Drittgrößte Stadt Israels und bekannt dafür, dass sie liberal ist.

IDF Soldaten: Soldaten, die ihren Dienst in der israelischen Armee absolviert haben, der “Israel Defense Force”.

Yad Vashem: Die wichtigste Gedenkstätte für den Holocaust in Israel.


Endlich sitze ich im Drehbuch Schreibkurs in Berlin Mitte. So lange habe ich auf diesen Moment gewartet. Jetzt bin ich an der Reihe meine Idee für ein Skript zu präsentieren.
„Also, ich möchte über ein deutsches Mädchen schreiben, die gerade ihr Abitur bestanden hat und beschließt einen Freiwilligendienst in Israel zu absolvieren. Dort wird sie mit Holocaustüberlebenden arbeiten. Plötzlich muss sie volle Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen. Noch nie auf sich allein gestellt, findet sie mit jedem neuen Abenteuer in Israel mehr über sich heraus und was Erwachsenwerden für sie bedeutet.”
Erwartungsvoll schaue ich in die Runde. Für einen kurzen Moment sagt Niemand etwas.
„Also möchtest du über deutsche Schuld schreiben?” fragt eine Teilnehmerin links von mir.
„Äh, nein. Eigentlich nicht. Es soll eher um das Erwachsenwerden gehen.”
Erneute Stille erfüllt den Raum. Jetzt ergreift ein Teilnehmer gegenüber von mir das Wort.
„Ich glaube, ich weiß worüber du schreiben willst. Es geht dir darum zu zeigen wie schlimm es ist in Israel groß zu werden mit all dem Krieg und Terror.”
Ich lasse seine Worte kurz auf mich wirken.
„Äh, nein. Eigentlich will ich wirklich nur aus der Perspektive des deutschen Mädchens schreiben und wie sie geprägt wird.”
Die andere Teilnehmerin links von mir fügt hinzu: „Aber du kannst doch nicht einfach erwarten, dass Holocaustüberlebende in Israel mit dir reden werden? Die Erinnerungen sind viel zu schmerzhaft für sie. In deiner Geschichte ist ein Elefant im Raum, der nicht angesprochen wird.”
Ich atme langsam ein und aus: „Naja, die Sache ist, dass das meine Geschichte ist. Ich war Freiwillige in Israel und habe mit Holocaustüberlebenden gearbeitet. Deswegen glaube ich, dass ich den Elefanten im Raum in Angriff nehmen kann.”

Gedankenversunken gehe ich nach Hause. So sicher wie ich mich im Schreibkurs gegeben habe, fühle ich mich nicht mehr. Bin ich wirklich noch in der Lage den Elefanten im Raum anzusprechen? Abends im Bett kann ich keinen Schlaf finden. In meinem Kopf rasen die Gedanken. Irgendwann stehe ich auf und trinke einen Schluck Wasser. Auf dem Weg zurück ins Bett gehe ich langsam an unserem Bücherregal entlang und bleibe vor einer Kiste stehen. Ich öffne sie langsam und suche darin bis ich mein Tagebuch aus meiner Freiwilligen Zeit in Israel gefunden habe. Vielleicht ist es an der Zeit einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Ich schlage es in der Mitte auf und lese die ersten Sätze, die mir ins Auge stechen. Oft sind es nur kurze Beiträge, die in Hast aufs Papier geschrieben wurden.

Meine Granny MB, schreibt viele Gedichte. Sie hat schon Bücher herausgebracht. Eines ihrer Gedichte soll ich in gutes Englisch übersetzen. Sie will es an Prinz William und Prinzessin Kate schicken, da diese vor kurzem ein Kind bekommen haben.

10.02.2014
„Eine der Grannies meinte zu mir, dass ich ‚sexy‘ bin. Dieses Kompliment nehme ich natürlich gerne an.”

21.01.2014
„Bei Granny M. war es total schön. Sie meinte, dass sie mit mir bis zum Ende Kontakt halten will und mich ihrer Familie vorstellen wird. Das war so schön zu hören. Auch im Moadonit Amcha war es sehr gut. Meine Chefin N. hat mich umarmt und gesagt, dass sie mich vermisst hat. “

24.03. 2014
„Es gibt so viel zu erzählen. In meinem Kopf sind tausend Gedanken, die von einer Hirnhälfte zur anderen kreisen und blitzschnell wieder zurück. Die deutsche Ordnung sucht man vergeblich in meinem Kopf. Dort wohnt jetzt der israelische Ordnungsdrang, also keiner.

Meine Freundin und ich waren im Supermarkt und haben uns das Regal angeschaut, wo Kondome verkauft werden. Kondome sind in Israel verdammt teuer. Wir überschlugen die Preise und fanden heraus, dass sich eher ein Schwangerschaftstest lohnt, als eine 12er Packung Kondome. Plötzlich eine Verkäuferin hinter uns: ‚Ihr habt recht. Und besonders nutzt nicht diese Marke, die Kondome sind nicht sicher. Das hat mir mein Sohn gesagt.‘”

„Heute bin ich gegen meine Zimmertür gerannt und habe den Tür Abdruck im Gesicht gehabt. Das tat weh. “

18.05.2014
„Der Vorteil im Ausland zu leben ist, dass du in der Öffentlichkeit Tagebuch schreiben kannst. Niemand kann es lesen. He He.“

21.05.2014
„Granny MB macht etwas Druck. Ich soll die britische Botschaft anrufen oder ASF-Chefin, um die wahre Adresse von dem Kronprinzenpaar William und Kate herauszubekommen. Sie will unbedingt Antwort auf ihr Gedicht, dass wir Ihnen geschickt hatten. Wie soll ich ihr erklären, dass das nicht so einfach geht? Sie glaubt mir einfach nicht.“

Ich lache auf. Viele der Anekdoten hatte ich total vergessen. Seltsam wie schnell solche kleinen Momente aus unserem Gedächtnis verschwinden. Ich rieche an dem Buch, um einen nostalgischen Duft einzuatmen. Leider riecht es nur nach der Kiste in der es lag. Ich lasse die Seiten nacheinander durch meine Finger gleiten und blättere zweimal durch das Notizbuch. Ich habe etwas Angst vor den größeren Abschnitten, weil sie Erinnerungen enthalten, die keineswegs leicht für mich waren. Erinnerungen, die viele nicht hören wollen, wenn man über seinen Freiwilligendienst in Israel redet. Ich streiche über den Einschlag des Buches und den Arielle-Aufkleber, den ich auf den Einband geklebt habe. Aber manchmal muss man eben auch die unangenehmen Dinge ansprechen. Ich schlage das Buch mit neuem Mut auf.

2.01.2014
„Lieber Herr Gesangsverein,
im Moment kann man mir ‚nicht zu gebrauchen‘ oder ‚defekt‘ auf die Stirn schreiben. Ich fühle mich wie ein Ikearegal zum Aufbauen. Nur bei mir hat man vergessen die Aufbauanleitung mitzuliefern. Am liebsten würde ich gerne meine ganze Verantwortung abgeben und nur als unsichtbarer Zuschauer am Leben teilnehmen.
Eine meiner Grannys hat gesagt, dass sie Selbstmordgedanken hat, weil ein Kurs oder eine Therapie ihr sehr zusetzt, wo sie teilnimmt. Sie möchte dort nicht mehr über den Holocaust reden, sondern endlich vergessen dürfen. Ich darf davon Niemanden etwas sagen. Trotzdem habe ich mich an meine Chefin im Amcha gewandt und sie will sich darum kümmern.”

16. Januar 2014
„Heute war ein wirklich seltsamer Tag. Meine Granny MB macht mir immer mehr Sorgen. Ich denke sie hat eine Art Depression und ich möchte probieren einen Psychologentermin für sie zu organisieren. Meine andere Granny F ist auch ein Sorgenkind für mich. Ihre Kräfte lassen immer mehr nach. Diese Woche wollte sie sogar nicht, dass ich zu Besuch komme. “

22. Januar 2014
„Es war vor zwei Tagen. Pauline und ich wollten einkaufen gehen und noch bei ‚Cafe Cafe‘  [Name des Cafes] vorbeizuschauen. Als wir an einer Bushaltestelle vorbei gehen wollten, hält uns ein stämmiger Mann an und gibt Anweisungen auf Hebräisch. Wir geben zu verstehen, dass wir der Sprache nicht mächtig sind. Er guckt uns mit großen Augen an: ‚Go! Go! Here is Boom, BOOM!‘ Wir sind verwirrt. Meint er eine Bombe? Auf der anderen Straßenseite setzen wir uns hin und beobachten die Situation. Der Mann probiert mit Hilfe eines Autos, Mikrofons und Alarmlicht Busse anzuhalten und Passanten  zu verscheuchen. Objekt der Sorge ist eine herrenlose, schwarze Tasche, die an der Haltestelle liegt. Nach einigen Minuten kommt plötzlich ein Junge angelaufen, greift die Tasche und rennt wieder davon.“

11.05. 2014
„Auf der Amcha Arbeit haben wir ein Zeitungsproblem. Manche Grannies and Grandpas klauen die Zeitungen, welche für alle Mitglieder des Moadonits ausgelegt werden. Dadurch können die anderen Clubmitglieder die Zeitungen nicht mehr lesen. Mir wurde eine Zeitung sogar aus der Hand gerissen. Ich glaube, ich ahne woher es kommt. Ihnen wurde alles genommen im Holocaust und nun haben sie Angst wieder alles zu verlieren. Es ist schwer etwas dagegen zu sagen, aber trotzdem ist es beklemmend zu beobachten.”

April 2014
„Es war die Pessachfeier vom Moadonit Amcha, die in einem Dorf stattfand in dem eine meiner Chefinnen wohnt. Gegen drei Uhr holte ich Granny F ab und wir fuhren zusammen zum Amcha von wo aus wir mit einem Reisebus gemeinsam mit allen Teilnehmern starteten. Die Pessachfeier begann und verschiedenste Überlebende haben Texte oder Gedichte vorgetragen. Ich verstand nicht viel aber wiederkehrende Fragen waren: Wieso kann meine ganze Familie nicht bei mir sein? Wieso ist es passiert? Manchmal kamen große Schlagworte wie Gas, Theresienstadt und Bergen-Belsen. Was habe ich als einzige nicht jüdische Deutsche im Raum in diesem Moment gedacht? Ich habe mich geschämt. Dann habe ich mich geschämt, dass es so etwas gibt, worüber ich mich schäme. Dann habe ich mich des Schams willen geschämt und zum Schluss wusste ich nicht mehr, was ich fühle. Holocaust beschäftigt mich im Moment viel. Sollte ich diesem Thema nicht langsam begegnen können, ohne so unter meinen Emotionen zu leiden? Aber ich bin jedes Mal wieder fassungslos und stelle mir die gleichen Fragen, wie sie auch von den Überlebenden gestellt wurden: Wieso ist es passiert?“

09.02.2014
„Ich habe eine kleine Krise, weil ich mit der Arbeit überfordert bin und kaum Zeit für mich habe. Ich holte Granny F. ab und wir gingen zusammen zum Amcha. Granny F war seltsam herablassend und spitz, sonst war sie nie so. Kurz vor dem Amcha bemerkte sie, dass sie lieber ins Theater gehen wolle. Ich erwiderte, dass ich gerne mit ihr gehen würde. Mit schiefem Blick sagte sie: ‚So, du würdest also mit mir ins Theater gehen?‘ Nachdem es den ganzen Abend so weiter ging standen wir endlich draußen und warteten auf meine Chefin N., die uns nach Hause fuhr. Granny F. sagte vor den anderen Freiwilligen, dass ich ein ein schlechtes Mädchen sei. Später sagte sie es mir noch einmal ins Gesicht und fügte hinzu, dass wir uns nie sehen und ich nie vorbeikomme. Es war schrecklich.“

Seitennotiz
„Granny M. erzählte mir, dass Freunde von ihr im Krieg gesehen haben, wie deutsche Soldaten Neugeborene an Panzer gebunden haben und dann in Teile zerrissen haben. Bei einer anderen Freundin haben sie die Mutter 10 Tage vor der Befreiung erschossen. Wie soll ich auf solche Geschichten reagieren? Es tut weh etwas zu hören. Meistens lasse ich sie reden und höre nur zu.”

28.02.2014
„Dann war da noch der Holocaust Gedenktag. Sehr früh standen wir auf, um nach Yad Vashem zu fahren. Dort nahmen wir an der Kranzniederlegung teil. Sogar unsere Freiwilligenorganisation ASF durfte einen Kranz niederlegen. Unsere beiden Yad Vashem Freiwilligen traten als Gruppenvertretung vor und legten den Kranz nieder. Vor uns saß eine französische Gruppe. Ich fragte, wer sie waren und R. erklärte mir, dass es die Nachkommen von Menschen sind, die während des zweiten Weltkrieges Juden versteckten. Nun hatten die Nachkommen der versteckten Juden und Helfer Kontakt miteinander. Über drei Stunden knallte die Sonne auf uns herab. Um 10 Uhr erklang der landesweite Gedenkalarm für 2 Minuten. Alle standen auf und die Welt stand  still. Meine Gedanken hingegen fanden keinen Stillstand und ich hatte einen dicken Kloß im Hals. Danach ging es in die Memorial Hall, wo Überlebende die Namen ihrer ermordeten Angehörigen laut lasen. Nach einer kleinen Kaffeepause hatten wir noch zwei Führungen. Während der zweiten Führung hörte ich meine Mailbox ab. Granny M. hat mir nach langer Zeit wieder ein Lebenszeichen zukommen lassen. Leider geht es ihr überhaupt nicht gut.“

13.05.2014
„Ich muss noch aufschreiben, was gestern auf Arbeit passiert ist. Eine Studentin die bei uns im Moadonit HaSchalom bei den arabischen Kindern aushilft war wieder da. Sie heißt T. Als erstes hat sie wieder ihre Meinung stark geäußert: Ich-rede-kein-Hebräisch-mit-dir-Einstellung, obwohl ich kein Arabisch spreche. Sie weigert sich generell Hebräisch zu sprechen. Manchmal wenn ich Sterne zeichne sagt sie vorwurfsvoll, dass sie wie Davidsterne aussehen und wir sie deswegen nicht den Kindern zum Spielen geben dürfen.  Doch dann kamen zwei Theatergruppen von der Universität. Die Theaterstücke waren zweisprachig und die jüdischen sowie arabischen Schauspieler haben sich so gut verstanden. Da ging mir das Herz auf, denn das ist Haifa. Haifa ist nicht wie T. Haifa ist zweisprachige Theaterstücke.”

23.06.2014
„Ich und meine Mitbewohnerin P. sind auf dem ‚Sunbeat‘ Festival gewesen. Es war wirklich wundervoll. Zwei andere Freiwillige waren auch da: M. und D! Obwohl D. ab Mitternacht im Zelt lag und sich die ganze Zeit übergeben musste und deswegen eigentlich nicht mitzählt. Israelische Festivals haben ein besonderes Phänomen: Festivalkinder. Überall waren Familien, die für zwei Tage praktisch ihren ganzen Haushalt mitgebracht haben. Es gab viel Programm für die Kleinen auf einer eigenen Bühne. Der Ort des Festivals war mitten im Wald  umrandet von Feldern. Die Musik war wirklich gut mit jüdischen, arabischen und internationalen Künstlern. Was nicht so schön war, war die Rückfahrt. Wir sind per Anhalter gefahren und der Typ bei dem wir mitgefahren sind war ein richtiger Araberhasser. Wenn wir durch ein arabisches Dorf fuhren schimpfte er auf jeden, den er sah und machte extrem rassistische Bemerkungen. Einmal fuhr eine arabische Familie auf der Spur neben uns. Er lenkte das Auto immer näher an sie heran und ließ es so aussehen als ob er sie seitlich rammen will. Die Kinder im Rücksitz sahen ängstlich aus. Ich war so sauer, aber hatte nicht den Mut den Mund aufzumachen. Dafür schäme ich mich sehr. P. und ich nannten ihn einen Assistent mit einem ‚R‘ davor.

26.06.2014
„Am Abend davor waren wir auf einer öffentlichen Breaking the Silence Vorlesung in Tel Aviv. Es war eine skurrile Situation. Eine Gruppe von politisch Rechts orientierten Demonstranten war auf der anderen Straßenseite und buhten jeden Sprecher auf der Bühne aus. Sprecher waren verschiedene ehemalige IDF Soldaten, die von ihren Erlebnissen als Soldat in Gaza berichteten. Irgendwie endete dann alles in einer Demo gegen Demo. Beide Gruppen standen sich gegenüber und waren nur durch eine Straße getrennt, die von Polizisten notdürftig abgesperrt war. Plötzlich ging Raketenalarm los und für ein paar Minuten vergaß jeder seinen politischen Standpunkt. Hunderte Menschen zerstoben in alle Himmelsrichtungen. Wir rannten in umstehende Gebäude hinein und hörten auf die Explosionen von Iron Dome. Atem wurde angehalten. Sobald es vorbei war ging es jedoch weiter. Jeder erinnerte sich wieder wofür man da war. Erhitzte Gemüter gegen erhitzte Gemüter. Die gemeinsame Angst von Minuten davor schon fast vergessen.“

01.08.2014
„Davon habe ich noch gar nicht geschrieben. Israel hat seit ca. einen Monat Krieg mit Gaza. Das ganze Land hat sich mit einem Ruck von Frieden zu Krieg gedreht. Menschen haben sich verändert. Meine beiden Arbeiten auch. Es ist so angespannt. Bei den arabischen Kindern arbeite ich seit ein paar Tagen nicht mehr. Beim Amcha jedoch noch. Manch eine der Grannies bekommt Erinnerungen über Erlebnisse im Holocaust. Sie leiden sehr unter dem Krieg. Kein Wunder, dass sie nicht vergessen können.“

Meine Augen brennen. Ich schaue auf eine Uhr und erschrecke über die Uhrzeit. Ich sollte langsam schlafen gehen. Ich lege das Notizbuch zur Seite. Trotz vieler Ängste bin ich dankbar für all die Erfahrungen, die ich machen durfte. Ich bin dankbar für die Menschen, die ich kennengelernt habe und für den Mut den ich bekommen habe den Elefanten im Raum ansprechen zu können. Ich bin dankbar dafür Israel nicht nur als Land des Terrors und Krieges zu sehen oder als das Land dem ich als Deutsche etwas schulde. Ich bin dankbar dafür nicht mehr den Druck zu haben dem Konflikt im Nahen Osten mit einer großen Meinung begegnen zu müssen, sondern zu wissen, dass Dinge nicht schwarz und weiß sind. So wie das Land in dem ich ein Jahr leben durfte. Und manchmal hat man keine Antwort auf das Warum. Sei es über den zweiten Weltkrieg oder Konflikt. Manchmal reicht es einfach zuzuhören. Manchmal ist das eben schon genug. Langsam krieche ich ins Bett. Mein Tagebuch schiebe ich unter das Kopfkissen und ich spüre wie meine Gedanken zur Ruhe kommen. Endlich kann ich einschlafen.


© Leonore Kriegel

Leonore Kriegel, 23 Jahre
erlebte Israel ein Jahr lang als Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.