Kyra Abt / 19 Jahre

Genieße die schöne Zeit

„Genieße die schöne Zeit und das Land, wo Gott gewirkt hat, Du wirst staunen über die Eindrücke fürs ganze Leben!“,

schrieb meine Oma in einem Brief, den sie mir kurz vor meiner Abreise nach Israel übergab. Wie recht sie damit hatte, durfte ich bald darauf erfahren…

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur wenige Informationen über meine Austauschschülerin. Außerdem wusste ich, was für die 13 Tage in Israel geplant ist. Ich hatte den Platz einer anderen Schülerin eingenommen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mit nach Israel konnte und war deshalb die einzige, die sich nicht auf das Wiedersehen mit dem Austauschpartner freute. Stattdessen war ich neugierig und nervös: Ist sie wohl nett? Wird sie enttäuscht sein, dass sie sich auf jemand anderen einlassen muss?

In Israel angekommen, wurde ich durch die Umgebung von diesen Gedanken abgelenkt. Es war alles so ganz anders als zuhause. Die Häuser erinnerten mich an Italien, aber die Natur war anders als in Deutschland, anders auch als in Italien und anders als in all den Ländern, in denen ich bisher war.

Schließlich kam die erste Begegnung mit meiner Austauschschülerin und all meine Bedenken wurden zerstreut. Sie begrüßte mich sofort mit einer herzlichen Umarmung und ich kam in den Genuss der israelischen Gastfreundschaft, von der ich in den folgenden Tagen sehr profitierte. Nicht nur ich, sondern auch die anderen deutschen Schüler waren von dieser Gastfreundschaft überwältigt.

In den folgenden knapp zwei Wochen unternahmen wir viele Ausflüge zu typischen Touristenattraktionen, leider ohne die Begleitung unserer Austauschschüler, die in dieser Zeit teilweise ihre Abschlussprüfungen hatten.

Ich besuchte Orte, von denen ich schon oft in der Bibel gelesen hatte, und bestaunte von einem Boot auf dem See Genezareth aus die Landschaft um mich. In den Bahai Gärten in Haifa entfiel unsere Führung aufgrund der hohen Temperaturen, aber wir hatten das Glück, dass ein Jugendlicher aus Deutschland dort ein Auslandsjahr machte. Von ihm erfuhren wir einiges über diese Religion – und das sogar in Deutsch. Mit einer night light show über die Geschichte der Stadt im Davidsturm begann unser Aufenthalt in Jerusalem. Es folgten die Klagemauer und die Western Wall Tunnels sowie das Israelmuseum und Yad Vashem.

Der Blick über die Großstadt Tel Aviv von einem Hochhaus aus hinterließ ebenso einen bleibenden Eindruck wie das obligatorische Baden im Toten Meer. Während ich das Kamelreiten etwas unbequem fand, war ich überrascht, wie schön die Wüste ist.

Besonders fasziniert haben mich die israelischen Feste. Auf unserem Plan, den wir bereits vor dem Aufenthalt in Israel erhalten hatten, standen die beiden Feiertage: „Remembrance Day“ und „Independence Day“. In Anbetracht der entsprechenden deutschen Feiertage hatte ich nicht viel davon erwartet: Der Volkstrauertag hat mich noch nie tangiert, den Tag der Deutschen Einheit mochte ich, weil er schulfrei ist, aber den Reden der Politiker und der Zeremonie in Berlin schenkte ich keine Beachtung.

Ganz anders in Israel: Da bei den Juden der Tag bereits am Vorabend um 19 Uhr beginnt, erklang zum Beginn des Remembrance Day um 19 Uhr eine Sirene. Die Mutter meiner Austauschschülerin entschuldigte sich und stellte das Gespräch mit mir ein. Da ich im Vorfeld aufgeklärt worden war, wusste ich, dass nun im ganzen(!) Land eine Schweigeminute gehalten wurde. Meine Gastfamilie hatte außerdem eine Kerze aufgestellt in Gedenken an die Gefallenen der Kriege seit der Staatsgründung sowie an die Opfer von Terroranschlägen.

Am nächsten Morgen begleitete ich meine Austauschschülerin in die Schule, wo wir zunächst die Hintergründe dieses Gedenktages erläutert bekamen und danach an der Schulzeremonie teilnahmen. Obwohl ich kein Wort verstand, hat mich die Zeremonie nachdenklich gestimmt und sehr berührt. Ich war regelrecht geschockt, als wir aufstehen mussten und die Namen ehemaliger Schüler und Schülerinnen vorgelesen wurden, die im Krieg oder durch Terroranschläge ungekommen sind. Allein von dieser Schule waren es etwa 50 Personen!

Anschließend fuhren wir zu Gedenkstätten in der näheren Umgebung, wobei uns zwei israelische Lehrer die Bedeutung des Gedenkens im nationalen Bewusstsein der israelischen Gesellschaft, die sich von Feinden umringt sieht, näher brachten.

Diese Informationen wühlten mich sehr auf. Ich sprach mit meiner Gastfamilie darüber und erfuhr, dass auch Nahariya schon Schauplatz für Terroranschläge war und dass einer der verletzten Soldaten, deren Entführung am 12. Juli 2006 zum Ausbruch des zweiten Libanonkrieg beigetragen hatte, ein Klassenkamerad meines Gastvaters war. Dennoch habe ich mich in Israel bis auf eine Ausnahme nie unsicher gefühlt. An den Anblick der jungen Soldatinnen und Soldaten mit Maschinengewehr und an die Kontrolle bevor man ein Kaufhaus betritt habe ich mich schnell gewöhnt.

24 Stunden nachdem die Sirene den Beginn des Remembrance Day eingeleitet hatte, änderte sich die Stimmung um 180 Grad. Der Remembrance Day geht nahtlos in den Independence Day über. In Nahariya herrschte an diesem Abend eine ausgelassene Stimmung. Die Bevölkerung traf sich im Stadtinneren, das mit Lichtern in den Nationalfarben blau-weiß geschmückt war. Um 21 Uhr gab es ein Feuerwerk auf dem Dach des Rathauses und am alten Hafen wurden israelische Rundtänze getanzt. Ermutigt durch meine Austauschschülerin nahm ich daran teil, obwohl ich keinen einzigen Schritt kannte. Zuhause hätte ich mich nicht dazu verleiten lassen, aber an diesem Abend war es mir egal, was die anderen über mich dachten, und dass ich falsch tanzte. Über die Aussage des DJs, die mir meine Austauschschülerin übersetzte, schmunzelte ich nur: Es sei sehr lustig, dass einige junge Leute mittanzten, die es offensichtlich nicht könnten.

Ein weiteres Highlight waren die zwei Sabbatbegrüßungen in meiner Gastfamilie. Obwohl meine Austauschschülerin ihre Familie als nicht religiös beschrieben hatte, traf sich die Familie am Freitagabend, um den Sabbat zu begrüßen. Nach einem Segen über dem Wein und einer Frucht des Bodens standen das gemeinsame Essen und der Austausch im Vordergrund. Die Atmosphäre war sehr angenehm und ich fühlte mich wohl, auch wenn ich den Gesprächen nicht folgen konnte. Ich war überrascht, wie positiv die Großeltern meiner Austauschschülerin auf mich reagierten. Eine ihrer Großmütter erzählte mir begeistert, dass sie schon einmal in Deutschland gewesen ist. Meine Befürchtung, dass ich aufgrund unserer nationalsozialistischen Vergangenheit auf Ablehnung oder Schuldzuweisungen stoßen würde, hat sich nicht bestätigt, was vielleicht auch damit zusammenhing, dass von der Familie meiner Austauschschülerin niemand von der Shoah betroffen war. Generell kann ich sagen, dass ich in Israel – besonders in Yad Vashem – mit diesem Thema konfrontiert wurde und eine tiefe Betroffenheit verspürt habe, aber von den Israelis, mit denen ich zu tun hatte, hat niemand abweisend auf uns Deutsche reagiert.

An den Samstagen und am Independence Day hatten wir frei und verbrachten die Zeit in unseren Gastfamilien. Meine Gastfamilie zeigte mir Rosh Haniqra – ein Ort direkt an der Grenze zum Libanon – wo ich zum ersten Mal in meinem Leben Klippdachse sah, die wir mit Blaukraut fütterten. Da man Haifa unbedingt einmal bei Nacht gesehen haben müsse, kam ich in den Genuss des Lichtermeeres inklusive eines Hauses, dessen Fenster bei Nacht so ausgeleuchtet sind, dass auf der einen Seite des Hauses die israelische Flagge zu sehen ist und auf der anderen Seite das Alter des Staates Israels steht. An meinem letzten Tag gingen wir zum Humusessen nach Akko, wo ich nicht nur ein fantastisches Essen serviert bekam, sondern auch den Unterschied zwischen dem verhältnismäßig geregelten deutschen Straßenverkehr und der kreativen Art der Israelis, ihr zugeparktes Auto zu befreien, erlebte.

Am selben Tag endete unser Aufenthalt in Israel mit einer Abschiedsparty. Ich war sehr traurig, dass wir schon wieder gehen mussten. Der Austausch hatte meine Erwartungen bei weitem übertroffen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich eine so schöne Zeit mit meiner Austauschschülerin haben werde. Die Familie war einfach toll. Reich beschenkt – sowohl mit materiellen Gütern von meiner Gastfamilie, aber auch mit neuen Eindrücken, Erfahrungen und freundschaftlichen Beziehungen – trat ich an diesem Abend die Heimreise an.

Auch heute noch – zwei Jahre nach dem Austausch – schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht, wenn ich an die Zeit in Israel denke. Ich bin sehr dankbar für alles, was ich erleben durfte. Meine Mutter war überrascht, wie glücklich ich mich anhörte und es wirkte nicht nur so, ich war tatsächlich glücklicher und entspannter in diesem faszinierenden Land. Seitdem ich dort war, wünsche auch ich mir: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“


Kyra Abt, 19 Jahre
hat im Mai 2016 im Rahmen eines Schüler*innenaustauschs das erste Mal Israel besucht.